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Bildungspolitik des Landes in der Sackgasse - Werkrealschule kein Ausweg

75% der 1200 Hauptschulen in Baden-Württemberg sind inzwischen so klein, dass sie vom bevorstehenden Schülerrückgang in ihrer Existenz bedroht sind. Während andere Bundesländer die Schularten verbinden, geht Baden-Württemberg einen Sonderweg, der sich bald als Sackgasse der Schulentwicklung erweisen wird.

Neben kleinen Hauptschulen soll es nämlich ab dem Schuljahr 2010/2011 große „Werkrealschulen“ geben, die mit den beruflichen Schulen verbunden werden. Die Schüler und Schülerinnen der 10. Klassen fahren dann an zwei Tagen in der Woche zu den Berufsschulen. Schon in den Klassen 8 und 9 sollen drei Wahlpflichtfächer darauf vorbereiten. Um diese anbieten zu können, müssen Werkrealschulen mindestens zweizügig sein. Daher ist das Konzept auch ein Schließungsprogramm für viele kleine Standorte im Land. Statt eine Schulentwicklungsplanung zu betreiben, überlässt die Landesregierung der Kirchturmpolitik das Feld. Anträge der Gemeinden müssen bis zum 15.12. gestellt sein. Eltern und Lehrkräfte können nicht mitentscheiden. Schüler der verbleibenden Hauptschulen dürfen ab 2010 jederzeit an die Werkrealschulen wechseln, so dass verbleibenden Hauptschulen jegliche Planungssicherheit fehlt.

Anträge von Gemeinden, die auf integrative Lösungen zielen, werden vom Land rigoros abgelehnt, so in Mulfingen oder Karlsruhe.

Zusätzliche Chance nur für wenige

Angeblich ist die Werkrealschule ein durchgängiger Bildungsgang, der zur Mittleren Reife führt. In Wirklichkeit gibt es zwischen den Klassen 9 und 10 weiterhin eine Notenhürde, so dass sich die Chancen der Hauptschülerinnen und Hauptschüler nicht wesentlich verbessern. Zwar wurde der verlangte Notenschnitt abgesenkt, dafür zählen aber nur noch die Hauptfächer und das Profilfach, so bestehen weniger Ausgleichsmöglichkeiten. Die meisten Schülerinnen und Schüler werden weiterhin nur den Hauptschulabschluss erreichen. Sie werden künftig erst recht als diejenigen dastehen, die „es nicht geschafft haben“. Ein Förderkonzept für diese Gruppe fehlt völlig. Auch das von der GEW schon lange geforderte 10. Schuljahr zur Chancenverbesserung für die Schwächeren gibt es nicht.

Auf diejenigen Schülerinnen und Schüler, die das 10. Schuljahr erreichen, kommen dann an den zwei Tagen an der Berufsschule 15 Stunden, an den drei Tagen an der Werkrealschule 21 Stunden Unterricht vor allem in den Kernfächern zu. Ohne Fördermaßnahmen und Hausaufgaben ergibt sich eine Verpflichtung von 36 Wochenstunden. Hinzu kommen lange Fahrzeiten zu den Berufsschulen, oft auch zu den Werkrealschulen.

Patchworkschule

Von einem „durchgängigen Bildungsgang“ kann auch deshalb nicht gesprochen werden, weil viele Werkrealschulen auf verschiedene Standorte verteilt werden; im Extremfall verlangen Gemeinden, dass die Schüler und Schülerinnen jährlich den Schulort wechseln, Klasse 5 also in Standort A, Klase 6 in Standort B, Klasse 7 in Standort C unterrichtet wird. Die FDP wirbt nun für sich mit der Aussage, sie habe eine solche Aufteilung bis Klasse 9 möglich gemacht. Im Sinn der eh schon benachteiligten Hauptschüler/innen kann das nicht sein!

Hinzu kommt in Klasse 10 die Aufteilung auf Werkrealschule und Berufsfachschule an drei bzw. zwei landesweit festgelegten Tagen. Hier müssen die Zehntklässler zu den zentralen Berufsschulen fahren.

Da auch kombinierte Werkrealschulen unter einer Leitung stehen und andererseits Hauptschulen i.d.R. mit Grundschulen verbunden sind, wird es an vielen Schulen zwei Schulleitungen geben: eine für die Grundschule und eine für die Werkrealschulklassen. Zuständigkeitsprobleme sind vorprogrammiert.
Für den Unterhalt und die sächliche Ausstattung der Werkrealschulen müssten die Schulträger Schulverbünde gründen, Schulen hätten also oft auch zwei Schulträger – einen für die Grundschule (die Gemeinde) und für die WRS (der Schulverbund aus den Trägergemeinden).

Nicht wenig Verunsicherung gibt es bei den Schulleitungen selbst, da in einigen Fällen Schulleitungsstellen neu ausgeschrieben werden müssen bzw. festzulegen ist, wer unter den bisherigen Schulleiter/innen nun zum Schulleiter/in der neu gebildeten Werkrealschule „aufsteigt“. Von nicht wenigen wird verlangt, für die Auflösung ihrer Schule und damit nicht selten für die Beerdigung ihres Lebenswerks zu werben.

Profilfächer ohne Profil, Allgemeinbildung amputiert

Neu sind in Klasse 8 und 9 die zweistündigen Wahlpflichtfächer „Natur und Technik“, „Wirtschaft und Informationstechnik“ und „Gesundheit und Soziales“, in denen Inhalte des ersten Lehrjahrs vermittelt werden sollen. Diese stehen nicht nur unverbunden neben dem bisherigen Fächerverbund Wirtschaft-Arbeit-Gesellschaft, der zum größten Teil verwandte Inhalte vermittelt und dessen seit 2004 vorgesehene Weiterentwicklung aus den Fächern Technik, HTW und Wirtschaftslehre noch nicht ansatzweise gelungen ist. Es gibt für die Profilfächer auch noch keinen Bildungsplan – geschweige denn eine Erprobungsphase! Und es gibt kein Fortbildungskonzept, das halbwegs gewährleistet, dass die Profilfächer zum nächsten Schuljahr auch überall starten können. Immerhin müssten allein für Klasse 8 über 2000 Lehrerinnen und Lehrer innerhalb eines halben Jahres vorbereitet werden!

Die Organisationsprobleme dürften also durch inhaltliche Verwirrung verstärkt werden, zumal wichtige Kernbereiche wie die Naturwissenschaften von 5 auf 2 Stunden gekürzt werden. Auch allgemein bildende Themen wie Globalisierung, Gentechnik, regenerative Energien, „Macht und Gesellschaft“, „Demokratische Gesellschaft“ drohen aus dem Bildungsplan zu verschwinden, da sich die 10. Klasse an der Berufsfachschule nur noch mit berufsspezifischen Inhalten beschäftigt und an der Hauptschule nur ein minimaler Rest verbleibt. Zumindest wird es massive Kürzungen bei Themen geben, die für die Zukunft unserer Demokratie elementar sind. Fatal ist auch, dass ausgerechnet bei dieser Schülergruppe zwischen Musik, Kunst und Sport gewählt werden muss.

Reformalternativen notwendig

Für die Lehrkräfte an Hauptschulen wird es nicht leicht sein, trotz Schulschließungen, Standortunsicherheiten, Standortwechseln und unausgegorenen inhaltlichen Profilen vernünftige Arbeit zu leisten. Vorteile für die „normalen“ und schwächeren Hauptschüler sind in der Summe nicht zu erkennen.

Die Unsicherheiten für die Gemeinden werden schon in wenigen Jahren erneut auftreten, da jetzt gebildete zweizügige Werkrealschulen nur noch einzügig sein werden. Die Gefahr besteht, dass ein Modell eingeführt wird, das für weitere notwendige Reformschritte integrativer Art innerhalb der Sekundarstufe I nicht mehr anschlussfähig ist und sich so als bildungspolitische Sackgasse erweist.

Spätestens dann wird die Alternative Gemeinschaftsschule wieder auf die Tagesordnung kommen – allerdings mit ungünstigeren Vorzeichen, da es dann in vielen Gemeinden keine möglichen Standorte mehr geben wird.

Abgesehen von den Verbesserungen beim Klassenteiler, mit dem Ministerpräsident Oettinger bei den Landtagswahlen punkten will, gleicht seine Bildungspolitik zunehmend jenem lähmenden Aussitzen von Problemen, die kennzeichnend für die Endphase seines Vorgängers Teufels war. Der Regierungspartner FDP, vor 30 Jahren noch bildungspolitische Reformpartei, ist verantwortlich für die Verschlimmbesserungen des Werkrealschulkonzepts und wirbt damit in Briefen an die Bürgermeister. Die FDP ist zum Restschulverteidiger und Reformverhinderer geworden. Zu den Landtagswahl 2011 wird DIE LINKE eigene Alternativen vorstellen.