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Schw. Tagblatt: Künftig Coach statt Stürmer

Tübinger Linke hofft weiterhin auf tragende Rolle Oskar Lafontaines. Oskar Lafontaines Ankündigung, nicht mehr für den Bundesvorsitz der Linken zu kandidieren, löste bei Tübinger Mitgliedern Bedauern aus, trifft aber auf Verständnis.

Stuttgart / Tübingen. „Die gesundheitliche Abwägung muss im Vordergrund stehen“, findet die Abgeordnete Heike Hänsel. Sie hätte sich aber gewünscht, dass Lafontaine bis zur Verabschiedung eines neuen Parteiprogramms im Amt geblieben wäre, sagte sie am Samstag am Rand des Landesparteitags der Linken in Stuttgart. „Das Jahr 2010 hat nicht ganz so glorreich begonnen“, räumte Landesgeschäftsführer Bernhard Strasdeit ein, als er das Treffen vor 200 Delegierten eröffnete. „Wir müssen jetzt eine Programmdiskussion führen und können uns auch Personaldiskussionen leisten, aber ohne Grabenkämpfe.“

Im Landesverband der Partei setzen nun viele auf Gesine Lötzsch, die für eine künftige Doppelspitze gehandelt wird. Die Vize-Chefin der Linksfraktion des Bundestags war Gastrednerin. Mit der Vereinigung der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG habe Lafontaine „eine große historische Leistung vollbracht“, betonte die Berlinerin. Er werde in der Politik der Partei „immer eine große Rolle spielen – ob als Stürmer oder als Coach“.

Damit und mit dem Appell, sich daran zu erinnern, dass „die Liste der Gemeinsamkeiten doch wesentlich länger ist als die der Streitpunkte“, traf Lötzsch die Stimmung. Sie bekam stehend Applaus.

Sie habe dazu beigetragen, „West-Ost-Schemata“ zu durchbrechen“, fand Emanuel Peter vom Tübinger Kreisvorstand, der dem Tagungspräsidium angehörte. Bei dem Streit, in den sich der Landesvorsitzende Bernd Riexinger mit einem Beschwerdebrief über Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch an Fraktions-Chef Gregor Gysi eingeschaltet hatte, gehe es nicht um Personalfragen, sondern um die Ausrichtung der Partei. „Die Frage einer Regierungsbeteiligung im Landtag steht auch bei uns ganz konkret auf der Tagesordnung“, sagte Peter. „Es geht nicht um Regierungsbeteiligung ja – nein, sondern darum, wie man es macht“, findet die Tübinger Stadträtin Gerlinde Strasdeit. Lötzschs Rede habe ihr „sehr gut getan“, sie wünsche sie sich als Parteivorsitzende.

„Sie hat das Klischeedenken durchbrochen und vielen von uns aus der Seele gesprochen“, fand auch Hänsel. Lafontaines Rückzug sei „ein großer Verlust“ gerade in der Bundestagsfraktion: „Er konnte wie kein anderer Themen zuspitzen und hat uns ein starkes Profil gegeben.“ Die Linke habe „eine Verantwortung für eine andere, gerechtere Politik, damit Menschen weltweit nicht mehr in Armut leben müssen“, erklärte Hänsel am Mikrophon.

„Es wurde deutlich, dass sie für die gesamte Partei steht, Ost und West vertreten kann und sich in der Mitte verortet“, beschrieb der Tübinger Delegierte Frederico Elwing Lötzschs Beitrag. Auch WASG-Mitgründer Klaus Ernst sei „eine gestandene Persönlichkeit“. Elwing traut ihm den Parteivorsitz ebenfalls zu.

Gotthilf Lorch war als Gast nach Stuttgart gefahren – vor allem, um Veränderungen am Leitantrag mit dem Ziel zu unterstützen, die UN-Behindertenrechtskonvention stärker hervorzuheben, etwa die Voraussetzungen dafür zu fordern, dass Kinder mit Behinderungen Regelschulen besuchen können.

  Der frühere Europa-Abgeordnete Tobias Pflüger wertete die optimistische Stimmung in Stuttgart kritisch. „Viele haben die Dimension des Lafontaine-Rückzugs nicht verstanden“, war seine Interpretation. Lafontaine sei Garant für „gewisse Inhalte“ gewesen – etwa mit seiner Kritik am rot-roten Koalitionsvertrag in Brandenburg. „Jetzt muss man die roten Linien programmatisch festschreiben“, fordert Pflüger: „Nur so kann man das Projekt retten. Es darf keine Beliebigkeit geben.“

Renate Angstmann-Koch
25.01.2010 - 08:30 Uhr | geändert: 25.01.2010 - 11:52 Uhr