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Südkurier: „Kein“ und „aber“

Es herrscht dicke Luft im Stuttgarter DGB-Haus. Doch nicht etwa, weil der Linke-Parteitag an diesem Tag so heftig über die Streitkultur in der Partei oder Oskar Lafontaine debattieren würde. Der Zigarettenrauch hängt vielmehr in dichten Schwaden vor der Saaltür, sanft durchzogen vom Duft siedender Maultaschen. „Höchste Zeit, dass dieser selbstgerechten, vielfach untätigen, fast konturlosen Landesregierung linke Opposition gegenüber steht, die diesen Namen verdient“, tönt Linke-Landesvorstand Bernd Riexinger unter Beifall. Im Bund fast 12 Prozent, das bläht das Selbstbewusstsein.

Sein Kollege Bernhard Strasdeit ruft die Landtagswahl 2011 als „nächstes großes Projekt“ aus. Die Linke müsse, um Erfolg zu haben, nur „dort anknüpfen, wo die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stattfinden“. Derer gibt es aus Sicht der Partei reichlich, weshalb viele Sätze mit „kein“ beginnen: Mindestlohn, Rente mit 67, Krieg in Afghanistan. Und: kein Nachsehen mit den Banken – eine Bankensteuer muss her. Aufs Land bezogen gilt ihre Sorge der C-Klasse und den Daimler-Arbeitsplätzen, der LBBW und den Entlassungen oder der Bildungsgerechtigkeit. Schnell ist Riexinger beim Mehr: Mehr Erzieher, Ärzte, Lehrer, Krankenpfleger, Sozialarbeiter als „Konjunkturprogramm für die Kommunen“.

Seine Partei gehöre – im Unterschied zu den Vertretern der „konservativ-neoliberalen Gehirnakrobaten“ – an die Seite der Arbeiter und auf die Straße und „nicht in die Luxuslimousinen“. Die Verkäuferinnen von Lidl und Schlecker stehen ebenso im Zeugenstand wie die Konstanzer Angestellte der Spitalstiftung, die sich vier Maultaschen nahm und dafür verurteilt wurde. Deren „Sprachrohr“ und „Stimme“ will die Linke auch im Südwesten sein. „Wir leben in keinem sozialen Rechtsstaat“, ruft Riexinger unter reichlich Beifall der Mitglieder. Schelte für die da oben kommt an. „Reiche können sich Politik bestellen“, ruft auch Gesine Lötzsch, die stellvertretende Fraktionschefin im Bundestag bei ihrem Grußworteinsatz. Die Maultaschen werden erfolgreich in Kontrast gesetzt zu „Arbeitsessen im Gourmetrestaurant“ oder einem „S-Klasse-Mercedes mit Chauffeur“, „Schwadroneure“ wie Thomas Middlehoff (zuletzt Arcandor) oder Thomas Fischer (zuletzt West-LB-Chef) würden „geschützt“, während gegen Hartz-IV-Empfänger immer mehr gehetzt würde.

Ulrich Maurer, der bekannteste der baden-württembergischen Linken, ist an diesem Tag nicht erschienen. Dringende Oskar-Sitzung in Berlin. Er ist schließlich
im Gespräch als Bundesgeschäftsführer. Die baden-württembergischen Linken-Politiker richten es allein, müssen dies mit Blick auf die Landtagswahl ohnehin
selbst tun. Riexinger, im Brotberuf Verdi-Mann in Stuttgart, wird vom Bildungszuständigen Erhard Korn als „Gesicht für die Landtagswahl“ ins Spiel gebracht.
Auch brauche man einen Pressesprecher für eine bessere Wahrnehmung. Überhaupt solle sich Riexinger „mit ganzer Kraft“ einsetzen, heißt wohl: vollberuflich.
Riexinger ist neben Bernhard Strasdeit ohnedies Sprachrohr der Südwest-Linken, auch der rhetorisch Begabteste. In seiner Rede knöpft er sich Stefan Mappus,
den künftigen Regierungschef, vor und seine Aussage, an den Harz-IV-Gesetzen und den Sozialhaushalten komme man nicht vorbei, wenn man einsparen wolle.
Riexinger betitelt den CDU-Fraktionschef als „Koch“: „Von Mappus haben Arme nichts zu erwarten. Der gehört zur Sorte Männer, die nicht Armut, sondern die
Armen bekämpfen“. Die Führungsriege der Linken ist deshalb überzeugt: Es gibt viel zu tun im Land. Der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde bei der nächsten
Landtagswahl scheint aus deren Sicht reine Formsache.

Als über Agenturen durchsickert, dass Linke-Chef Oskar Lafontaine aufhört, herrscht so etwas wie Betroffenheit. Die meisten haben es geahnt. „Gesundheit
geht vor“, kommentiert die Basis. Oder: „Es war irgendwie klar“. „Schlechte Nachricht“, meint Riexinger. Aber kein Grund zur Sorge. Die Landespartei sei gut
aufgestellt, habe ein „gutes Fundament“. Die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel bedauert den „großen Verlust“, nun müsse die nächste Generation ran,
sagt sie und schielt Richtung Riexinger. Mit Blick auf den Bundesvorsitz wird „ein weibliches Gesicht“ für gut befunden. Vielleicht Gesine Lötzsch, die unter
Riesenapplaus der rund 400 nun stehenden Delegierten die „große historische Leistung“ Lafontaines lobt? „Ohne ihn hätte es die Partei 'Die Linke' nie
gegeben.“

Dann geht der Landesparteitag ungerührt weiter. „Linke Inhalte werden gebraucht“. Haiti, Afghanistan, Türkei, Neonazis, Armutsrisiko, Daseinsvorsorge,
Mappus. Es gibt ja so viel zu tun.

Südkurier, 25.1.2010
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