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Zum Koalitionsvertrag: “Vertrag mit dunklem Schatten”

Der Koalitionsvertrag bringt vor allem für sozial Benachteiligte viele Verschlechterungen. Eine faktische Senkung des Arbeitslosengeldes II wird durch die Pauschalierungen der Energie- und Nebenkosten sowie voraussichtlich der gesamten Kosten für die Wohnung durchgesetzt. Kaschiert werden soll dies mit der Erhöhung des Schonvermögens, die aber nur für einen kleinen Kreis von Erwerbslosen von Bedeutung ist. In der Pflege müssen Beschäftigte einen Sonderbeitrag für den Einstieg in die Kapitaldeckung zahlen. Die Gesundheitsvorsorge wird für Versicherte sofort teurer. Ab 2011 zeichnet sich der Weg in die Kopfpauschale ab, die einseitig zu höheren Beiträgen vor allem für Versicherte mit niedrigem Einkommen führt. Für Unternehmer bleibt es bei einem fixen Beitragssatz der in Zukunft nicht mehr erhöht wird.

Skandalös ist die Legalisierung der bis zu 30prozentigen Unterschreitung von Tariflöhnen. Schwarz-Gelb lehnt Mindestlöhne ab. Bis Ende 2011 sollen auch die bereits eingeführten Branchen-Mindestlöhne überprüft und möglicherweise aufgehoben werden. Gleichzeitig bedient die Koalition Reiche und Vermögende sowie die Konzerne vor allem mit weiteren Steuergeschenken. Selbst wenn nur die Pläne der Union durchkommen, wird dies zu Einnahmeausfällen von mindestens 15 Milliarden Euro führen. Betroffen sind in starkem Maße Länder und Kommunen.

In den öffentlichen Kassen herrscht ein Finanzdesaster ohne Gleichen. Nach der Planung des Finanzministeriums vom August wird es 2010 zu einem Defizit von 130 Milliarden Euro bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen kommen. Unter Einbeziehung des Jahres 2009 droht bis 2013 insgesamt ein Fehlbetrag von mehr als 500 Milliarden Euro. Dabei ist die Bankenrettung, die am Ende auch noch hunderte von Milliarden kosten kann, nicht berücksichtigt.

Diagramm: Öffentliche Gesamthaushalte 2002-2013

Vor diesem Hintergrund liegen weitaus gravierendere Verschlechterungen in der Luft, als im Koalitionsvertrag festgelegt. Erst recht wegen der Schuldenbremse, die ab 2011 greift. Nach wie vor droht eine Agenda 2020. Ein Sozialabbau weit schärfer als der in der Schröder/Fischer-Ära. Die haushaltstechnischen Verfahren hierfür werden jetzt vorbereitet. Der Koalitionsvertrag wirft einen dunklen Schatten in die Zukunft.

Dass tiefe Schnitte in den Sozialstaat jetzt noch nicht auf der Tagesordnung stehen, liegt in der Logik der Landtagswahlen begründet. Merkel hat die Sicherung der Mehrheit für Schwarz-Gelb im Bundesrat fest im Blick. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010 gerät so zur Schlüsselwahl. Danach gibt es bis Ende 2012 einen langen Zeitraum ohne Wahlen, die die Mehrheit von Union und FDP im Bundesrat gefährden könnten. Einzige Ausnahme: die Landtagswahl im Frühjahr 2011 in Baden-Württemberg. Im Notfall wird dort halt mit Jamaika weiterregiert – die Mehrheit im Bundesrat geriete nicht wirklich in Gefahr.

Ab Mai 2010 drohen die wirklich harten Schnitte. Dann kann Merkel durchregieren. Ab Sommer wird es zur Machtprobe kommen. Dann wird sich zeigen, ob Gewerkschaften und soziale Bewegungen stark genug sind, um einen weiteren einschneidenden Schritt zur Demontage des Sozialstaates verhindern zu können.

Von Michael Schlecht, erschienen im Neuen Deutschland vom 24.10.2009

http://www.neues-deutschland.de/artikel/157992.vertrag-mit-dunklem-schatten.html